Samstag, 1. August 2020

Heute, hier, ein ungesehenes Deutsches Kind in Deutschland


Der endgültige Vertrauensverlust in die Justiz unseres Staates


Da ist ein Kind, ich nenne ihn Tim.
Tim ist der älteste unter vier Brüdern. Seine Eltern, gehobene Mittelschicht, Vater Informatiker, Mutter Buchhändlerin.
Tim hat eine schwache Form des Asperger-Syndroms, ist also kein „Dummer“. Er hat nur das große Pech, dass in Deutschland solchen Erkrankungen eher mit Ignoranz begegnet wird, als mit Hilfe und Therapie. Dann hat er das Pech, dass seine Eltern ihn kurzhalten und weder Mobiltelefon noch sonstige altershergebrachten Spielzeuge angeschafft werden. Als ihm sein Fahrrad vor der Haustür geklaut wird, bekommt er auch kein neues mehr. Auch wird er nicht wie viele andere zum Sport gefahren, nein Tim läuft gerne mal an die 20 Kilometer, wenn er irgendwohin möchte oder muss. Z.B. auch zu seiner Therapie in Münchingen, da sieht die Mama nämlich nicht ein den Ältesten von Bietigheim-Bissingen zu fahren.
Da Tim auch kein Taschengeld bekommt, kann er auch nicht mit den Öffentlichen fahren. Dennoch kommt er später auf die Idee in die S-Bahn zu steigen und damit nach Münchingen zu fahren. Und wird prompt erwischt, und es wird geahndet.

Tim hat erkannt, wenn er nicht nur die Bio-Kekse seiner Mutter essen möchte, die mittlerweile streng vegan kocht, muss er Geld verdienen. Also arbeitet Tim, der das noch gar nicht dürfte. Aber ein Kioskbesitzer hat die Not des Jungen scheinbar als Einziger erkannt, und lässt ihn aushelfen. Tim kann sich so etwas zu essen kaufen, und ein Päckchen Tabak. Geld für mehr ist immer noch nicht, also auch keine S-Bahn Fahrten zu Kumpels ins nahegelegene Ludwigsburg.

Tim spart und erträgt die sich trennenden Eltern. Der Vater zieht in eine Stadtwohnung nach Stuttgart, hat keinen Platz für Tim.
Die Mutter tut sich mit einem arbeitsscheuen praktizierenden Juden zusammen, der Tim hasst. Tim muss, gerade mal sechzehn Jahre alt, aus dem Haus. Wohin, ist egal.
Tims Totalabstieg beginnt.
In der Nähe des Wohnortes seiner Mutter liegt ein Abbruchhäuschen. Lebensgefährlich und unter aller Kanone. Es ist Winter, Tim nistet sich dort ein. Die verstorbene Besitzerin war auch Schnapsbrennerin, und Tim trinkt dort, was er in die Finger bekommt. Auch Blumendünger, an dem er fast stirbt und mehrere Tage Blut spuckt.

Fahrradfahrende Greise sehen, dass sich in dem Häuschen was tut und alarmieren umgehend die Polizei. Die kommt, Tim wird verhaftet. Er wird wegen Hausfriedensbruch angeklagt, außerdem ist er betrunken. Hat ja nichts zu essen, nur den gefundenen Schnaps, in Bietigheim-Bissingen, der rechtschaffenen Stadt.

Tim wird angeklagt. Hat auch im Kaufland Kekse und eine Cola geklaut, alles wird verhandelt. Die Eltern helfen nicht, Tim bekommt Arbeitsstunden und Bewährung, hat ja nun doch schon mehr auf dem Kerbholz. So sagt der Richter, der lieber die Eltern und unseren Versagerstaat verurteilen sollte.
Tim ist mittlerweile siebzehn. Tim hat auch dahingehend Pech, dass er einen seinen Beruf verfehlten Schulleiter hat. Der wirft ihn ohne Abschluss von der Schule, mit hanebüchenen Argumenten. Obwohl Tim, selbst als er wochenlang in der Abbruchbude wohnte, jeden Tag zur Schule ging. Da die die einzige Konstante in seinem Leben war, und er dort in einem geheizten Raum sein konnte, im Januar.

Tim darf nun nicht einmal mehr zu Besuch zur Mutter, der Vater will alleine wohnen. Dem fiel auf, dass er eigentlich nie Familie wollte. Also zahlt er Tim ein Hostel in Stuttgart.
Achtbettzimmer, Monteure, Obdachlose und Geschäftsleute in einem Zimmer. Tim hat nichts zu tun, will aber seine Schule fertig machen.
Endlich hilft ihm das Jugendamt, und er kann wenigsten die 9. Klasse beenden, in einer Realschule in Oberstenfeld. Tim fährt nun mit dem Bus von Stuttgart jeden Tag nach Oberstenfeld. Nach dem Schuljahr darf er dort nicht weitermachen und noch ein Jahr dranhängen um die Mittlere Reife zu machen, das war so ausgemacht, sagt der Schulleiter.
Tim "wohnt" auch immer wieder auf der Straße, da das Hostel manchmal einfach keinen Platz mehr hat, weil der Vater sich nicht rechtzeitig um Verlängerung des Schlafplatzes kümmerte.

Der Staat tut übrigens gar nichts in Sachen Wohnen oder Schule, noch in irgendeiner sozialen Form. Der hat ja auch anderes zu tun, so viele wollen Hilfe, und was soll da ein siebzehnjähriger vorgehen, der intelligent ist und arbeiten will? Nein, da hilft man anderen, egal wem.

Für Tim erscheint ein Silberstreif am Horizont: das Gericht verurteilt ihn erneut wegen wiederholtem Schwarzfahren. Das Urteil: er muss in das JADE Programm nach Weinsberg. (Jugendlichen Alkohol- und Drogenentzug).
Tims Glück!
Er hat ein richtiges Bett, ein Bad und Essen!!!!!
So gut ging es ihm noch nie. Dazu noch Therapie, und er darf bei den Landschaftsgärtnern mitarbeiten, was er in seiner Freizeit auch gerne tut. Für 1 Euro die Stunde. Er kann sich ein Päckchen Tabak kaufen nach einer Woche. Und ist zu recht sehr stolz auf sich.
Weinsberg will auch sonst helfen. Ihm wird ein Platz in einer Wohngruppe besorgt, und ab dem kommenden Sommer eine Ausbildung in der Gastronomie. Tim ist im siebten Himmel, kann sein Glück nicht fassen.
Seine Depressionen sind auch besser, die bekam er nämlich durch die ganze Situation. Ach ja, einen Suizidversuch gab es auch, der ist in den Wirren ganz unter gegangen. Tim fühlt sich unerwünscht, vom Leben betrogen und ist todunglücklich.

Nun das Finale bis heute, den 01.08.2020.
Tim ist weinige Wochen in der Wohngruppe, dann trinkt er Alkohol und fliegt sofort raus. Regelverstoß. Tim muss augenblicklich die Wohngruppe verlassen, sitzt auf der Straße.
Der Vater quartiert ihn wieder im Hostel ein. Aber eine Mitarbeiterin eines Programms aus Weinsberg hat Mitleid mit Tim und sieht die katastrophale Situation des Jungen. Sie sagt, sie will ihn bei sich aufnehmen, nach Stuttgart-Untertürkheim. Sie ist geschieden und hat eine Tochter in Tims Alter.
Tim verändert sich. Tim lächelt ab und zu wieder, er hat Familienanschluss, ein Bad und Bett.
Aber Tim hat kein Glück. Der Vater sagt, ein Hostel zahlt er, aber die Therapeutin bekommt das Geld nicht.
Die bedauert, und sagt Tim, dass er jederzeit zu Besuch kommen kann, aber wohnen kann er nun nicht mehr hier.
Tim stürzt ins Bodenlose.
Betrinkt sich, will in eine Kasse greifen und wird erwischt.
Jetzt haut der Staat zu: Tim bekam gestern, den 31.07.2020 seinen Brief, dass er bis zum 17.08.2020 seine 9-monatige Haftstrafe in Adelsheim antreten muss.
Denn er war auf Bewährung, und dem Richter reicht es jetzt.

Mir reicht es schon lange.
Diese starke Zusammenfassung ist unter verdrückten Tränen geschrieben, ich kann es nicht fassen wie borniert, ungerecht, ignorant und unverhältnismäßig unsere Justiz Recht spricht. Tim ist am 28.08.2020 Volljährig geworden, 18 Jahre alt. Ich befürchte, wenn er erst einmal in Adelsheim ist, wird er keine neunzehn.

Ich verachte alle die Tim alleine ließen mitten in Bietigheim-Bissingen, Ludwigsburg und Stuttgart.
Ich verachte das Deutsche Rechtssystem, ich verachte alle Klugscheißer die jetzt die Klappe aufmachen.

Bild: Gang im Landgericht Heilbronn